Als Älteste 6* in der ersten Klasse war, fiel uns beim Elternabend eine Mutter unangenehm auf. Sie lobte permanent ihr Kind in den höchsten Tönen und beschwerte sich, dass ihm ein Sprung in die zweite Klasse verwehrt wurde. Aus ihren Schilderungen mussten wir schließen, dass das arme Kind zuhause gedrillt wurde, um möglichst schnell besonders viel Lernstoff aufzusaugen und umzusetzen und nur ja keine freie Zeit ungenutzt verstreichen zu lassen.
Wir wissen nicht, ob das Kind hochbegabt ist – es verließ wenig später die Schule unserer Kinder. Aber das Erlebnis und viele Medienberichte über Eltern, die alle meinen, ihre Kinder seien hochbegabt, machte es für uns nicht leichter, einige Monate später selbst bei der Schulleitung vorstellig zu werden, um einen Sprung unserer Tochter in die zweite Klasse zu erbitten. Denn wir wollten nicht “solche” Eltern sein, die ständig alles Mögliche für ihr Kind einfordern. Wie wir inzwischen gelernt haben, ist das leider in unserem Schulsystem bei hochbegabten Kindern oft nötig.
Dass wir es letztendlich dennoch gewagt haben, die für unser Kind nötige Veränderung einzufordern, hat viel mit einem Ereignis zu tun: der “Testung”.
Was ist eine Testung?
Ich tue mich immer noch etwas schwer mit dem Wort – für mich klingt es immer erst mal wie schlechtes Deutsch. Das Nomen zu “testen” ist für mich “Test”. Aber der Begriff wird in der Wissenschaft tatsächlich genau so verwendet für die “Untersuchung eines […] Sachverhaltes […] auf Richtigkeit“. Und darum geht es bei der Testung – es wird untersucht, ob die Annahme, das Kind sei hochbegabt, tatsächlich richtig ist.
Allerdings kommt bei der Testung auch noch viel mehr heraus (die obige Begriffsdefinition ist auch nicht abschließend). Denn am Ende steht nicht nur eine Zahl für den IQ auf dem Papier, sondern viele weitere Informationen, die dabei helfen, dass für das Kind die richtigen nächsten Schritte eingeleitet werden können.
Im Fall von Älteste 6 schwebte zu Anfang noch die zumindest theoretische Möglichkeit eines AD(H)S im Raum. Durch die Testung konnte dieser Verdacht jedoch ganz klar ausgeräumt werden. Mit dem Ergebnis in der Hand befanden wir uns gleich in einer ganz anderen Gesprächsposition gegenüber der Schule. Denn wir mussten nicht auf erbrachte Leistungen verweisen, sondern konnten das Potential aufzeigen und erklären, warum durch Unterforderung für unsere Tochter keine Möglichkeit bestand, ihre volle Leistung abzurufen.
Mehr als nur ein IQ-Test
Eine Testung ist mehr als nur ein “simpler” IQ-Test. In unserem Fall wurde der WISC-V Test verwendet, der recht gängig ist und Ergebnisse in mehreren Unterkategorien umfasst. Dabei kann dann auch herausgearbeitet werden, ob ein Kind eventuell nur in bestimmten Bereichen über eine Hochbegabung verfügt und gegebenenfalls sogar Schwächen in anderen Bereichen hat, die zusätzliche Förderung erfordern. So bieten die Ergebnisse einen viel umfassenderen Blick auf das Begabungsprofil des Kindes, als das mit der reinen “IQ-Zahl” möglich wäre.
Wichtig ist aber auch, dass die Testung durch eine erfahrene Person begleitet wird, die aus den Ergebnissen die richtigen Empfehlungen für das weitere Vorgehen ableiten kann. In unserem Gesprächskreis treffen wir immer wieder auch auf Eltern, denen am Ende einer Testung dann doch nur eine Kurzzusammenfassung mit Fokus auf den IQ überreicht wurde und die dann mit dem Ergebnis alleingelassen wurden. Natürlich kostet eine professionelle Begleitung auch Geld, aber bisher haben wir bei beiden getesteten Kindern das Gefühl, dass es gut angelegtes Geld war.
Verdacht auf Hochbegabung?
Ich würde daher auf jeden Fall Eltern, die bei ihren Kindern Anzeichen einer möglichen Hochbegabung erkannt haben, zu einer Testung ermutigen (über die DGHK lassen sich geeignete Berater finden). Diese ist übrigens ab dem Alter von 6 Jahren aussagekräftig möglich – wird früher getestet, muss eventuell zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal eine Testung durchgeführt werden, um genauere Ergebnisse gerade im Begabungsprofil zu erhalten. Die Vorteile nochmal zusammengefasst:
- Gewissheit, ob eine Hochbegabung vorliegt
- Detailliertes Begabungsprofil
- Förderbedarf in Teilbereichen kann frühzeitig erkannt werden
- Mit dem Profil kann viel individueller ein für das Kind optimales Vorgehen geplant werden
- Professionelle Beratung gibt Sicherheit im Umgang mit dem Umfeld
Für uns wäre ein Sprung in eine höhere Klasse (noch dazu sechs Wochen vor Schuljahresende) ohne Testung niemals in Frage gekommen. Aber mit den Ergebnissen in der Hand und unserer Beraterin an der Seite konnten wir der Schule vermitteln, dass wir für unsere Kinder keine “Extrawurst” wollen, sondern die Forderung und Förderung, die nötig ist, damit sie ihr volles Potential entfalten können.
Schreibe einen Kommentar