In anderen Beiträgen habe ich ja schon öfter kurz die Problematik gestreift, dass die spezifischen Anforderungen von Kindern mit Hochbegabung in der Ausbildung unserer Lehrer nur wenig bis überhaupt nicht vorkommen. Das zeigte sich für uns als Problem, als Älteste 6* in der ersten Klasse völlig gelangweilt und unterfordert war.
In der Zeit, die auf die ersten Anzeichen, die Testung und schließlich den Sprung in eine höhere Klasse folgten, haben wir einiges darüber gelernt, wie sehr es in unserem Schulsystem Glückssache ist, ob Lehrerinnen und Lehrer das Kind verstehen und adäquat auf seine Situation eingehen können.
Bei Mittlere 6 haben wir einen totalen Glückstreffer gelandet, was die Bereitschaft zur Zusammenarbeit anbetrifft. Aber die Klassenlehrerinnen sagen auch ganz klar, dass sie in ihrer Ausbildung zum Thema Hochbegabung kaum etwas gelernt haben und auf unsere Mithilfe angewiesen sind, wenn es um Ideen geht, unserer Tochter die Freude an der Schule zu erhalten und sie angemessen herauszufordern.
Bei Älteste 6 war es dagegen so, dass sie der Klassenlehrerin zwar auffiel, sie aber nicht die richtigen Schlüsse aus ihren Beobachtungen ziehen konnte. “Sie fällt sehr oft vom Stuhl” war zum Beispiel eine der Beobachtungen. “Sie träumt oft vor sich hin”. “Sie vergisst oft, was sie gestern noch konnte”. Ausgesprochen wurde es in diesem Fall zwar nicht, aber oft geht der Blick bei solchen Anzeichen eher in Richtung AD(H)S. Selbst viele Schulpsychologen scheinen auch offensichtliche Hinweise auf Hochbegabung oft zu übersehen und keinen entsprechenden Test durchzuführen.
Hochbegabte Kinder brauchen Lehrer, die sie herausfordern
Im Gespräch mit Lehrerin und Schulleitung, nachdem die Ergebnisse der Testung vorlagen und ganz klar eine Höchstbegabung diagnostiziert war, kamen trotzdem viele Bedenken auf den Tisch. “Sie nimmt sich aber immer nur die leichten Aufgaben”. Klar, das Kind ist zwar begabt, aber auch bequem. “Sie bekommt dann ja gleich Noten und die werden bestimmt nicht besonders gut ausfallen”. Stimmt, das taten sie auch nicht. Was aber völlig okay war, denn immerhin hatte sie gerade den Stoff eines ganzen Schuljahres in ein paar Wochen aufzuholen.
Die Einwände waren gut gemeint, verkannten aber trotzdem die Bedürfnisse eines hochbegabten Kindes. Denn das Kind muss eben nicht “erst mal zeigen, dass es das auch kann”, sondern es muss überhaupt erst mal herausgefordert werden, sich für schulische Leistungen auch anzustrengen. Viele Lehrer wollen aus Sorge, das Kind zu überfordern, gern warten und eben erst mal die Leistung sehen – die aber nie kommen wird, wenn das Kind in der unterfordernden Situation belassen wird.
Und dann kam, sechs Wochen vor Schuljahresende, der Sprung in die zweite Klasse. Zu einer Lehrerin mit Erfahrung mit Hochbegabung. Nach einer Woche sagte sie uns, wie schade es doch sei, dass Älteste 6 erst jetzt gesprungen sei, wo die Integration doch zum Halbjahreswechsel so viel einfacher gewesen wäre. (Naja, es war nicht weiter schlimm, hat ja trotzdem alles geklappt). Sie sagte uns auch gleich, wir sollten nicht sofort auf die Noten sehen, natürlich sei da erst mal ein Rückstand aufzuholen.
Bei Mittlere 6 war dagegen den Lehrerinnen gleich klar, dass sie es mit einem hochbegabten Kind zu tun haben. Gut, sie war auch gerade erst 5, als sie in die Schule kam. Das war ein recht deutlicher Hinweis. Und trotzdem… es ist immer noch schwierig. Denn der Lehrplan sieht nunmal ein gewisses Lerntempo vor. Wer hinterherhängt, kann durch Förderung beschleunigt werden. Aber was ist mit denen, die vorneweg rennen?
Die Gefahr ist immer da, dass ein hochbegabtes Kind gebremst wird, sich anpassen soll an das Lerntempo seiner Klassenkameraden. Oder aber doch wenigstens auch keine Lücken im Übungsheft haben sollte, wenn es doch schon so viel kann. Was dann aber endlose und nicht notwendige Wiederholungen bedeutet. Weshalb wir so dankbar sind für Lehrerinnen, die das Gespräch suchen und offen sind für Vorschläge, zusätzliche Materialien und Angebote. Und die einen Weg finden wollen, um Mittlere 6 bis zum Ende der dritten Klasse für einen Wechsel in die fünfte Klasse fitzumachen.
Nicht alle Eltern hochbegabter Kinder haben Glück mit den Lehrern
Aber ganz ehrlich – aus unserem Gesprächskreis wissen wir auch, dass viele Eltern diese positiven Erfahrungen, die wir machen durften, nicht teilen. Dass ihnen Steine in den Weg gelegt werden, dass sie als übereifrige Helikoptereltern verdächtigt werden, die ihren Kindern einen Vorteil verschaffen wollen. Dass ihre Kinder als Störenfriede mit sozialen und mentalen Problemen gebrandmarkt werden – dabei sind sie einfach nur unterfordert.
Nach der gängigen Definition sind 2% der Bevölkerung hochbegabt. Das heißt, in einer vierzügigen Grundschulstufe mit 25 Kindern pro Klasse sind 2 hochbegabte Kinder dabei. Macht 8 Kinder pro Grundschule. Wie kann es da sein, dass das Thema in der Ausbildung immer noch eine so untergeordnete Rolle spielt? Und dass eine gute Forderung hochbegabter Kinder im Wesentlichen von der Initiative der Eltern abhängt?
Umgang mit Hochbegabung als gesellschaftliche Herausforderung
Als Gesellschaft verschwenden wir Potential, wenn es uns ausreicht, dass auch die langsameren Schüler auf das geforderte Niveau gehoben werden und die hochbegabten Kinder sich anpassen müssen. Denn so werden aus Kindern, die zu hohen Leistungen fähig werden, viel zu oft Kinder mit Schulproblemen und am Ende gar Bildungsversager. Wir müssen uns fragen, ob wir uns das wirklich leisten können und wollen.
Ich habe es an anderer Stelle schon einmal geschrieben – ein IQ von 145 ist eine Abweichung von der Norm um 45 Punkte. Wenn die Abweichung nach oben erfolgt, muss das Kind sich oft anpassen – weicht das Kind dagegen nach unten ab, dann ist vollumfängliche Förderung garantiert. Mit Chancengleichheit hat das nichts zu tun.
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