Bei “Mittlere 4*” war die Sache eigentlich eindeutig. Sie würde im Juni 2019 sechs Jahre alt werden und somit war klar, dass sie im August dieses Jahres eingeschult werden würde. Dann schlug der Kindergarten eine frühere Einschulung vor. Aber sie wäre doch gerade erst fünf. Wir meldeten sie erst mal bei der Schule an, aber wirklich vorstellen konnten wir uns so eine frühe Einschulung nicht.
Im Kindergarten startete sie ins Vorschulprogramm, aber wir waren weiter unsicher. Die private Grundschule, an der wir sie angemeldet hatten, veranstaltet ein “Schulspiel” als Aufnahmeprüfung. Mit vier Jahren und drei Monaten stellten wir dort also unsere Tochter vor. Von den Kommentaren über ihr Alter weiter verunsichert und mit der Aussicht auf einen sicheren Schulplatz im nächsten Jahr entschlossen wir uns, doch noch ein Jahr zu warten.
Hilfe, das Kind kann lesen
Es war Ende Februar des nächsten Jahres, die Schwiegereltern waren zu Besuch. Plötzlich schnappte sich die kleine Maus ein Erstleserbuch der älteren Schwester und fing an, der Oma daraus vorzulesen. Ein wenig stockend und unsicher, aber eindeutig nicht auswendig gelernt, kämpfte sie sich Seite um Seite durch das Buch. “Ich habe hier Fünftklässler, bei denen das nicht besser klingt”, kommentierte ein befreundeter Gymnasiallehrer das dabei entstandene kurze Video.
Und dann brach in einem Gespräch die Enttäuschung aus unserer Tochter heraus. “Alle in der Vorschulgruppe dürfen nach dem Sommer in die Schule und ich muss noch ein ganzes Jahr warten!”. Es war klar, wir mussten etwas tun. Aber was?
Irgendwelche zusätzlichen Aktivitäten schwebten uns vor, etwas das sie im letzten Kindergartenjahr herausfordern würde. Denn es war inzwischen Anfang März und die Schulanmeldungen längst erledigt. Nur konnten wir einfach nichts passendes finden. So landeten wir an einem Sonntagabend auf den Internetseiten der DGHK und kontaktierten gleich per Email die lokale Ansprechpartnerin (eine professionelle Beratering für Hochbegabung) in unserer Stadt.
Was spricht denn gegen die Einschulung?
“Ich muss jetzt mal ganz dumm fragen, warum soll das Kind denn noch nicht in die Schule kommen?”, lautete die erste Frage im Telefonat am nächsten Tag. Und im Lauf des Gesprächs wuchs die Erkenntnis, dass wir es einfach versuchen mussten. Also starteten wir mit einem Anruf bei der Schule – die Rektorin war nicht da und würde uns am nächsten Tag zurückrufen.
Als am Dienstag der ersehnte Rückruf kam, wurde es hektisch. Ja, einen Platz könnte sie vielleicht noch finden, aber erst müsste mal die schulärztliche Untersuchung her. Und eigentlich müsste am Donnerstag der Schulträger eine Liste der aufgenommenen Kinder bekommen. Der schulärztliche Dienst wiederum wusste ja noch nicht von einem einzuschulenden Kind und die Wartezeit betrug mindestens zwei Wochen. Also wurden Schule und Schularzt in Kontakt gebracht.
Am nächsten Morgen klingelte das Telefon. Beim Schularzt gebe es eine Absage, ob wir am nächsten Tag um 10 Uhr kommen könnten? Ich sagte ein paar Vormittagstermine ab und dem Schularzt zu. Nach einem kurzen Telefonat mit unserer Beraterin sprangen wir ins Auto und sammelten Mittlere 4 im Kindergarten auf. Denn wir hatten vereinbart, vor dem Schulartzttermin noch eine Einschätzung ihrer Entwicklung einzuholen.
Grünes Licht
“Na wenn das Kind nicht eingeschult werden soll, wer denn dann?”. Die Einschätzung der Beraterin war ganz klar. Eigentlich könnte sie jetzt schon in der ersten Klasse sein. Auf keinen Fall sollte sie noch ein Jahr warten müssen.
Die Schulärztin am nächsten Tag hatte ebenso keinerlei Bedenken. “Wenn ich den Finger auf die Jahreszahl beim Geburtsdatum gelegt hätte, wäre mir nicht aufgefallen, wie jung sie noch ist”. Auch von dieser Seite gab es also grünes Licht. Jetzt stand noch die Frage nach dem Platz an unserer Wunschschule (und Schule unserer ältesten Tochter) im Raum.
Abends vor dem Einschlafen sprach ich nochmal mit Mittlere 4 und erklärte ihr, dass sie auf jeden Fall im Sommer in die Schule gehen sollte. Wir wüssten aber noch nicht, ob sie vielleicht in eine andere Schule gehen müsste. “Papa, das ist mir egal – ich nehme auch eine andere Schule, wenn ich nur endlich in die Schule darf.” Wir waren ziemlich geplättet von so viel Zielstrebigkeit.
Und dann kam am Freitag der erlösende Anruf der Schule – es gab noch einen Platz für Mittlere 4 und wir müssten dann jetzt nur noch die vertraglichen Formalitäten erledigen. So kam es innerhalb von einer Woche zur Entscheidung über die frühere Einschulung. Und zu der Frage “Wie sieht es eigentlich mit Geschwisterkindern aus?“…
Wie soll man das entscheiden
Die Entscheidung über eine frühere Einschulung ist wirklich schwer. Gerade haben wir Jüngster 4 angemeldet, der im Februar 2020 fünf wird. Aber jedes Mal überlegen wir, ob wir dem Kind nicht ein unbeschwertes Kindergartenjahr vorenthalten, wenn es so früh mit der Schule losgeht.
Wir hatten großes Glück. Unser Kindergarten hatte von Anfang an einen Blick für die Begabung unserer Kinder. Zeitweise mehr als wir selbst. Deshalb wurden Auffälligkeiten richtig eingeordnet und die richtigen Empfehlungen gegeben. Weniger erfahrene Erzieher denken oft eher an ADHS oder Entwicklungsstörungen, wenn Kinder im Alltag des Kindergartens nicht so “funktionieren” wie der Rest. Als Eltern muss man dann oft sehr genau nachfragen und lernen, sein Kind selbst einzuschätzen.
Ein Kind, das in die Schule will, macht es einem recht einfach. Wenn nicht gravierende Gründe im Sozialverhalten dagegen sprechen, ist der Wunsch des Kindes der beste Indikator, dass der frühe Zeitpunkt richtig ist. Bei Kindern, die das nicht so klar äußern, ist es natürlich schwieriger.
Ich würde auch aus unserer Erfahrung heraus auf jeden Fall dazu raten, im Zweifel auf eine Beratung zurückzugreifen. Auch die Einschätzung von Kindergarten und Kinderarzt kann hilfreich sein. Dabei ist es aber auch wichtig, diese Einschätzung richtig einzuordnen. Eine Erzieherin, die die Zeit im Kindergarten für die wertvollste Zeit der Kindheit hält, wird vermutlich eine andere Einschätzung abgeben als eine, die auch die geistigen Bedürfnisse des Kindes im Blick hat.
Und noch etwas ist uns wichtig geworden: nur weil die Schule anfängt, hört das Kind ja nicht plötzlich auf zu spielen. Gerade in der ersten Klasse wird vieles noch sehr spielerisch erarbeitet und es bleibt viel Raum zum Spielen. Der Beginn der Schule ist nicht das Ende der Kindheit, sondern ein sehr wichtiger Teil davon.
Carolin Teller
Danke, danke, danke!