Die Berichterstattung über Hochbegabung ist bei uns leider oft sehr einseitig. Das hat ungünstige Auswirkungen. “Unser Kind ist doch kein Wunderkind” war einer meiner ersten Gedanken, als das Thema bei uns zum ersten Mal akut wurde. Denn so war uns Hochbegabung in den Medien bisher hauptsächlich begegnet – in der Form von “Wunderkindern”, die mit vier Jahren die Grundschule abschließen oder mit 8 ihre erste Oper schreiben.
Erst vor kurzem gab es wieder ein kleines Medienspektakel um einen 9-jährigen, der gerade seinen Bachelor-Abschluss fertig hat. Interessanterweise haben unsere beiden getesteten Kinder einen höheren IQ als dieses “Wunderkind”. Aber schauen wir uns das mal genauer an – da ist ein Junge mit Hochbegabung. Aber er geht nicht in die normale Schule, sondern wird zuhause von professionellen Lehrkräften privat unterrichtet. Natürlich sind da ganz andere Ergebnisse möglich, als in unserem Schulsystem. Auch ein Mozart fing ja nicht einfach so an zu komponieren, sondern wurde von seinem Vater entsprechend unterrichtet.
Das falsche Bild vom hochbegabten Wunderkind
Ich möchte an dieser Stelle überhaupt nicht auf Sinn oder Unsinn einer solchen privaten Ausbildung eingehen – das muss jede Familie natürlich nach ihren Gegebenheiten und Prioritäten für sich selbst entscheiden. Aber worauf ich eingehen möchte ist das Bild von Hochbegabung, das durch solche Berichte entsteht. Und zwar sowohl bei potentiell betroffenen Eltern als auch beim Umfeld, wie zum Beispiel Erziehern und Lehrern.
Meine erste Reaktion auf das Thema Hochbegabung habe ich ja oben schon kurz beschrieben. Uns als Eltern fiel es zunächst nicht ganz leicht, die Anzeichen, die sich bei unseren Kindern zeigten, mit unserem von den Medien beeinflussten Bild von Hochbegabung übereinzubringen. Und als es bei Älteste 8* um den Sprung in eine höhere Klasse ging, wurde auch von den Lehrern zunächst einmal ein “ja, aber…” auf den Tisch geworfen.
“Ja, aber sie kann doch xyz noch nicht”.
“Ja, aber dann bekommt sie ja gleich Noten”.
“Ja, aber zuerst muss sie mal zeigen, dass sie xyz kann”.
Da schwingt immer ein wenig die “Wunderkinderwartung” mit – ein Kind mit einem so hohen IQ müsste doch in der Schule schon jetzt viel mehr leisten oder irgendwie sonst durch intellektuelle Wundertaten auffallen. Und das ist eben oft nicht so. Denn ein hochbegabtes, aber nicht gefordertes Kind schaltet eben einfach das Gehirn weitgehend aus, langweilt sich und fällt dann eher durch Störungen im Unterricht und ständige Flüchtigkeitsfehler als durch herausragende Leistungen auf.
Die Tragik der Berichterstattung
Und da liegt für mich so ein wenig die Tragik in der Berichterstattung – durch den Fokus auf die sogenannten “Wunderkinder” wird es all denen von uns Eltern, die versuchen, ihren hochbegabten Kindern im ganz normalen Schulalltag die nötigen Herausforderungen zukommen zu lassen, das Leben deutlich schwerer gemacht (und es war von Anfang an nicht einfach).
Was mir lieber wäre: Berichte über engagierte Lehrer, die im anstrengenden Alltag mit 30 Kindern in der Klasse die Zeit finden, besondere Aufgaben für das hochbegabte Kind herauszusuchen und sich (da das Thema in der Lehrerausbildung quasi nicht stattfindet) nebenbei weiterzubilden. Und Berichte über Kinder, die in ganz normalen Schulen mit ihrer Hochbegabung die nötige Forderung und Förderung erfahren und tolle Leistungen erbringen, die nicht nur einen rein akademischen Fokus haben.
Solange das Bild von Hochbegabung in der Öffentlichkeit von Wunderkindern geprägt ist, werden hochbegabte Kinder einer Erwartungshaltung ausgesetzt, die sie kaum erfüllen können. Dabei wäre es so wichtig, angehenden Lehrern ein realistisches Bild zu vermitteln und der “Forderung” von Hochbegabten den gleichen Stellenwert einzuräumen wie der Förderung von Lernschwachen. Denn ein Kind mit einem IQ von 145 weicht um 45 Punkte von der “Norm” ab – nur eben nach oben. Würde es nach unten abweichen, würde es als behindert gelten und die Frage der Förderung würde sich nicht stellen.
Stattdessen wird leider immer noch von den Hochbegabten Kindern erwartet, dass sie sich im Unterricht anpassen und auf die langsamer lernenden Mitschüler Rücksicht nehmen. Damit verlieren sie nicht nur auf die Dauer jegliche Motivation, sondern lernen auch nicht, sich für die Schule auch einmal anstrengen zu müssen. Und das wiederum führt auf die Dauer zu Lernschwierigkeiten und Verhaltensprobleme, die man sich hätte ersparen können.
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